Endlich Zeit für mich - Eine Kur trotz Corona

Kann man in Zeiten von Corona eine Kur machen? Auf jeden Fall! Eine Kurteilnehmerin berichtet von ihren positiven Erfahrungen.

Nach 20 Jahren des Alleinerziehens neben einem Vollzeitjob kam ich in eine Lebensphase, in der ich einen plötzlich sehr kranken Vater pflegen und meine Mutter in organisatorischen und schriftlichen Angelegenheiten unterstützen musste. Ich habe funktioniert, meinen Vater auf dem Sterbebett in einer Klinik bis zu seinem letzten Atemzug begleitet, die Bestattung mit allem Drum und Dran organisiert – die anderen Familienmitglieder waren überfordert und ich fühlte mich sehr alleine gelassen. Diese Zeit hat körperliche und seelische Spuren hinterlassen. Bei einer Routineuntersuchung in meiner Hausarztpraxis brach ich unvermittelt in Tränen aus und erhielt den ärztlichen Rat: RAUS aus dem sozialen Umfeld! Zeit NUR für mich beanspruchen! Sich um NICHTS kümmern! Diese drei Ausrufezeichen haben mich auf meinem Weg zur Kur begleitet und bestärkt. Meine Kur als pflegende Angehörige habe ich über eine Beratungsstelle der AWO beantragt. Nachdem mir bei früheren Mutter-Kind-Kuren dort immer kompetent beigestanden wurde, hat sich das auch in der neuen Situation bewährt: Die Mitarbeiter*innen dort wissen über die neuesten Bestimmungen Bescheid, man erhält  die Antragsformulare , die Beratungsstelle reicht diese bei der eigenen Krankenkasse ein und frau bekommt Tipps, wie der Antrag zu formulieren ist. Gleichzeitig werden einem mögliche Kurkliniken – passend zur Indikation – und eventuell freie Kurplätze genannt. Nachdem ich diesen Prozess erfolgreich durchlaufen hatte, erhielt ich meine Kurzusage.

Dann kam die Corona-Pandemie und alles war unsicher. Meine Kurklinik auf der Insel Juist musste Mitte März schließen. Ob meine Kur im Juli wieder stattfinden würde, war bis zehn Tage vor Antritt noch unklar. Nach dem Anruf, dass ich im ersten Kurdurchgang nach der Corona-Schließung dabei sein konnte, gab es für mich kein Zögern mehr: Das war ein Geschenk des Schicksals!

In den drei Wochen meiner Kur im Sommer 2020 am ostfriesischen Wattenmeer – sehr weit weg von den familiären Strukturen und Prägungen – hatte ich soviel Zeit für mich wie selten zuvor. Die drei Ausrufezeichen meiner Ärztin haben sich bewahrheitet. Sozialtherapeutische Gruppenangebote, ein paar Einzelgespräche, Kreativ- und Sportangebote wie Rückenfit, Atemtherapie, Walken und Yoga am Strand – pandemiebedingt in kleinen Gruppen – und dies auf größtenteils freiwilliger Basis. Dies ließ genügend Gelegenheit mit dem gemieteten Rad die Insel zu erkunden, Robben zu beobachten, in den Dünen die vorbeiziehenden Möwen am Himmel zu betrachten, Muscheln zu sammeln und stundenlang nicht zu funktionieren, nichts tun zu müssen und mich auf mich zu besinnen. Ebbe und Flut waren für mich Zeichen der Lebensläufe. Ich konnte Frieden finden mit dem Verlust meines Vaters, habe meine Prägungen reflektiert, bin durch zig Radkilometer körperlich fitter geworden und mental ausdauernder.

Hilfreich waren auch die Gespräche mit anderen Frauen: Man erfährt von unterschiedlichen Lebensgeschichten und Sichtweisen, kann mitfühlen, weinen, aber auch herzhaft miteinander lachen. Dennoch bleibt immer Zeit, sich zurückzuziehen. In solchen Stunden habe ich mir anhand eines mitgebrachten Buches das Häkeln beigebracht – dieses Hobby hat sich gefestigt, sodass ich auch nach der Kur weiterhin in der Freizeit mit Freude handarbeite und andere kreative Dinge herstelle. Vorher hätte ich mir das niemals zugetraut bzw. zugestanden.

Ich bin mutiger für die Zukunft und reich an inneren Bildern von wunderschönen Sonnenuntergängen und der Erinnerung an eine Zeit NUR FÜR MICH!

Ich möchte allen Frauen Mut machen: Eine Kur ist ein gesetzlicher Anspruch und das hat seinen berechtigten Sinn. Lasst Euch beraten und bestärken, habt kein schlechtes Gewissen, legt bei einer möglichen Ablehnung Widerspruch ein, setzt die Sehnsucht nach Selbstfürsorge um. Nutzt diese Möglichkeit des Kraft Tankens. Ihr gebt den Daheimgebliebenen damit auch die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren und daran zu wachsen. Aus Veränderung kann Neues entstehen.

Ich bin allen Beteiligten von Herzen dankbar für MEINE 3 Wochen.

 

 

Frau S. (56), pflegte ihren Vater bis zum Tod und unterstützte ihre Mutter. Sie ist berufstätig und hat ihre inzwischen erwachsene Tochter allein großgezogen, Im Sommer 2020 nahm sie an einer Kur für pflegende Angehörige in der Klinik “Die Insel” auf der Insel Juist teil. Es war der erste Kurdurchgang nach der Corona-bedingten Schließung im März 2020.