Fragt mal jemand nach der Situation von Eltern/Alleinerziehenden mit schulpflichtigen Kindern? Mittlerweile befinden wir uns im vierten Monat des Homeschoolings und ein Ende ist nicht in Sicht.
Immer wieder werden die ausgesetzte Präsenzschule mit Infektionsschutz und gegenseitiger Rücksichtnahme begründet. Die Folgen für Kinder (und Familien) werden verharmlost, Dinge nicht klar benannt: „Kinder hätten seit Wochen keinen Kontakt zu Gleichaltrigen und zunehmende Bildungslücken.“ Seit Wochen? Ja, so kann man es kleinreden. Nur sind es jetzt schon Monate: Seit mehr als zehn Wochen unterrichte ich mein Kind zu Hause, vorher schon vier Wochen im Wechselmodell jeden zweiten Tag. Nebenbei bin ich weiter in Teilzeit berufstätig, mein Mann in Vollzeit und ich absolviere nebenher noch ein berufsbegleitendes Studium, welches auch mal eben zum digitalen Homestudying gewechselt hat.
Keiner fragt, wie das funktioniert. Manche Eltern unterrichten mehrere Schulkinder parallel. Eine Mutter in Elternzeit (sechs Kinder) berichtete mir: „Ich betreute zu Hause vier Kinder im Homeschooling, davon haben drei Kinder eine diagnostizierte ADHS.“ Schlimmer geht immer… Haben Sie Kinder und schon einmal versucht, den eigenen Kindern etwas beizubringen? Spätestens mit Ende der Grundschulzeit wird dies immer schwieriger. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist kein Lehrer-Schüler-Verhältnis.
Eine Notbetreuung für Eltern in systemrelevanten Berufen gibt es nur bis zum Alter von zehn Jahren (Ende der Grundschulzeit). Als ob elf- bis 12-Jährige (5./6. Klasse) sich schon selbst gut organisieren und sich alles im Selbststudium beibringen können. Bei uns liegen jedenfalls die Nerven seit Wochen blank! Wir sind alle so dünnhäutig, dass es oft und schnell sehr laut wird, Türen knallen und wir uns isolieren müssen, um einander nicht noch mehr weh zu tun, als nur mit Worten. Ich glaube, immer mehr Eltern schaffen dies nicht.
Wir mussten beispielsweise Bruchrechnung unserem Sohn im Homeschooling eigenständig beibringen. Da gab es nicht eine digitale Unterrichtsstunde oder Videokonferenz dazu, nur Aufgaben aus dem Lehrbuch, Merksätze und neue Aufgaben aus dem Lehrbuch.
Ich habe drei Kinder. Zum Glück ist nur einer davon in der Schule, aber Wäsche waschen, einkaufen und täglich für fünf Personen kochen, läuft mal eben so nebenbei. Eigentlich hätte ich im April 2020 eine Mutter-Kind-Kur antreten können, wegen Corona wurde diese abgesagt und auf Ende Dezember 2020 verschoben. Doch dieser Termin kam nicht zustande, da es einfach nicht möglich war, am 27.12.2020 wegen eines Kurantrittes einen PCR-Test zu bekommen. In Zeiten von Weihnachtsurlaub in vielen Arztpraxen und einem sächsischen Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps gab es für Kurbedürftige keine Testmöglichkeiten, jedenfalls für mich nicht.
Also machen wir weiter: Tag für Tag funktionieren. Drei Tage Homeoffice, um wenigstens etwas das Homeschooling unterstützen zu können und zwei Tage im Büro.
In meiner Beratung erlebe ich an jedem Beratungstag Mütter, denen es ähnlich geht. Wir sind am Limit: Wir schlafen nachts nicht mehr durch, sind erschöpft und antriebslos, schnell fließen Tränen bei uns und den Kindern. Die Nerven liegen blank und mir fehlt die Kraft, gegen diese Art der Politik des Reagierens statt des Agierens auf die Straße zu gehen. Wir schützen unsere Mitmenschen auf Kosten der Frauen, besonders der Mütter, welche auch in diesen Zeiten berufstätig sind und zu Hause schulpflichtige Kinder unterrichten. Ich weiß nicht, wie lange das noch durchzuhalten ist. Ich sehe nicht, dass die Politik oder die Medien uns im Blick haben. Es fehlt eine Perspektive und Planungssicherheit. Wo sind Entlastungen für die berufstätigen Mütter? 150,00 Euro Einmalzahlung zum Kindergeld helfen mir bei meinen alltäglichen Problemen überhaupt nicht. Wie wäre es, mit einer Verdopplung des Urlaubsanspruches, einer Stärkung der Mutter-Kind-Kurhäuser, damit niemand mehr als sechs Monate auf einen Kurplatz warten muss oder der finanziellen Unterstützung von Eltern für Hauslehrer? Oder streicht doch einfach dieses Schuljahr und entlastet damit Eltern und Kinder.
Ansonsten plant bitte mehr Budget für psychotherapeutische Kliniken und Psycho-therapien ein, denn diese werden überrannt werden, von Frauen und Kindern mit funktionaler Belastungsstörung, Erschöpfungssyndrom und Depressionen.
Ich würde mir gegenseitige Rücksichtnahme wirklich wünschen, aber ich stelle fest, dass nur von mir erwartet wird, dass ich mich an alle Regeln halte und Rücksicht nehme. Auf die besondere Situation von berufstätigen Müttern mit schulpflichtigen Kindern nimmt seit nunmehr einem Jahr niemand Rücksicht und es eilt keiner herbei, um mir solidarisch und entlastend unter die Arme zu greifen.
Wir haben nicht nur im Bildungsbereich zunehmend ungleiche Chancen. Diese Pandemie und besonders die Politik verstärken ungleiche und nicht gerechte Lebenslagen für alle von uns: Da gibt es die Selbstständigen und Freiberufler*innen, die um ihre finanzielle Existenz bangen. Andere sind in Kurzarbeit, teilweise Kurzarbeit „0“, haben aber damit wenigstens ihr finanzielles Auskommen und Zeit, zu Hause Lehrkraft für ihre Kinder zu spielen, wenn sie denn den nötigen Bildungsstand dafür haben. Wieder andere gehen ohne Unterbrechung arbeiten wie bisher oder arbeiten sogar noch mehr (systemrelevante Berufe) und sind seit Monaten an der Belastungsgrenze. Aber auch diesen wird zugemutet, mal ganz nebenbei zu Hause auch noch ihre Kinder zu unterrichten. Gleichbehandlung sieht anders aus!
Kann ein Land es sich leisten,
… Mitarbeiter*innen im erwerbsfähigen Alter an die Grenzen der Belastbarkeit zu bringen?
… Menschen in systemrelevanten Berufen (in denen es Fachkräftemangel gibt) bis zur totalen Erschöpfung einzusetzen?
… Familien zu überfordern und in diesen Situationen allein zu lassen?
… Kinder über Monate hinweg nicht von geschulten Lehrkräften unterrichten zu lassen, trotzdem die Erwartungen an sie zu stellen, dass sie die Inhalte des Lehrplanes sich selbst erarbeiten und sie von allen Kontakten in Gruppen zu Gleichaltrigen abzugrenzen?
Ist es wirklich wichtiger, großen Konzernen wie VW, Lufthansa und anderen, mit staatlichen Unterstützungszahlungen zu helfen, obwohl diese teilweise Gewinne machen und so (angeblich) die Arbeitsplätze in Wirtschaftskonzernen zu sichern, als die Arbeitskraft der Arbeitnehmer*innen zu sichern?
Wozu brauchen wir gesicherte Arbeitsplätze, wenn es nach dieser Krise kaum noch jemanden gibt, der arbeitsfähig ist? Wer leistet all die Care-Arbeit in Kliniken, Pflegeheimen, Kitas und Familien, wenn die Frauen arbeitsunfähig geworden sind?
Ich bin kein Leugner von Corona. Ich habe selbst zu Hause Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf bei einer Corona-Infektion und ich weiß auch nicht, wie ich dies verkraften würde. Aber ich merke ebenso, dass ich diese Art der Dauerbelastung ohne Perspektiven und ohne Möglichkeit, meine Resilienz durch Ausflüge, Treffen mit Freunden, Sport, Wellness oder Urlaub zu stärken, nicht mehr lange durchhalte.
Letzten Monat konnte ich eine Woche Kinderpflegeschein nehmen. Allerdings war dies keine leichte Woche und ich war am Ende froh, wieder arbeiten gehen zu können. Also keine Erholung und meine gesammelten Überstunden brauche ich für mögliche zukünftige Präsenzveranstaltungen im Studium, aber dafür kann ich ja dann weiteren Erholungsurlaub nehmen. Nur die „Erholung“ bleibt dann ganz auf der Strecke. Aber da bin ich eben selbst schuld, ich müsste mich ja nicht weiterqualifizieren. Vielleicht sollte ich mein berufsbegleitendes Studium unter diesen Bedingungen abbrechen, somit riskieren meinen Arbeitsplatz zu verlieren, da ich nicht den nötigen Abschluss dafür erwerbe und Arbeitslosengeld beantragen. Dann hätte ich wenigstens Zeit für das Unterrichten meines Kindes und erhalte meine Arbeitskraft vielleicht eher als unter diesen aktuellen Umständen. Hoffentlich kommen nicht noch mehr Mütter (vor allem Pflegerinnen und Krankenschwestern) auf solche Ideen. Nicht, dass am Ende das soziale System überfordert ist, allen die Ansprüche auszuzahlen, die wir mit jahrelanger Erwerbstätigkeit als Mütter mühsam erworben haben.
Ich würde mich freuen, wenn solch ein Leserbrief auch Gehör findet, gedruckt wird und das Thema auch in den Zeitungen aufgegriffen wird. Aber ich glaube nicht daran.
Constance H. ist Beraterin in einer unserer über 1.000 Beratungsstellen im MGW-Verbund. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Privat und beruflich erlebt sie hautnah, wie sehr gerade Mütter in der Corona-Pandemie ständig überlastet sind.