Beneficial Thinking: Das Geheimnis ausgeglichener Mütter

Kinder- und Jugendärztin Dr. Karella Easwaran im Interview über den Weg aus der Stressfalle hin zu mehr Gelassenheit im Alltag.

Die täglichen Belastungen von Müttern führen schnell zu Dauerstress, Erschöpfung und können schließlich sogar krank machen. Wieso können Alltagssituationen so überwältigend sein? 

In meiner Praxis beobachte ich täglich, welchen Einsatz Mütter für ihre Familien bringen. Gleichzeitig erlebe ich, wie kurze Nächte, Beziehungsprobleme, Schwierigkeiten bei Kinderbetreuung oder Arbeit sie chronisch erschöpfen. Mütter geraten schleichend in die Stressfalle.

Eigentlich ist Stress eine sinnvolle Reaktion unseres Körpers auf Gefahr: Er schüttet Stresshormone aus, um für Angriff oder Flucht zu rüsten. Sind wir aber müde und gereizt, empfinden wir schon einfache Reize, neue Anforderungen oder Veränderungen als Bedrohung. Da reicht ein umgekipptes Saftglas, ein Stau, ein falsches Wort – und unser Stresssystem läuft auf Hochtouren.

Langfristig kann die ständige Flut an Stresshormonen krank machen. Sie führt z. B. zu Muskelverspannungen, Bluthochdruck, Immunschwäche, Übergewicht, Herzkreislauferkrankungen oder Diabetes. Auch psychisch schadet Dauerstress: Freude und Motivation gehen verloren, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen und Depressionen sind die Folge.

In Ihrem Buch beschreiben Sie mit der „Beneficial Thinking“-Methode einen Weg aus der Stressfalle. Inwiefern können wir mit dieser Methode Stress reduzieren und mehr Gelassenheit gewinnen? 

Unsere täglichen Herausforderungen können wir nur bedingt ändern. Wir können aber beeinflussen, wie wir darauf reagieren. „Beneficial Thinking“ bedeutet „vorteilhaftes Denken“. Diese Methode habe ich auf der Basis von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt.

Die Grundidee: Wenn wir den Stressmechanismus und unser Gehirn besser verstehen, können wir unser Denken und Verhalten so verändern, dass es vorteilhafter für unsere Gesundheit ist. Aber das ist nicht alles: Es geht auch darum, wieder mehr Glücksgefühle zu empfinden und persönliche Ziele zu erreichen. Erst wenn diese drei Bereiche erfüllt sind, empfinden wir wirkliche Ausgeglichenheit.

Ihre Botschaft ist es, dass jeder Mensch in der Lage ist, sein Leben aus sich heraus vorteilhaft zu verändern. Was ist, wenn man mit seinen Kräften bereits am Ende und erschöpft ist? 

Dieser Zustand ist ja ein untrügliches Zeichen, dass sich etwas ändern muss. Der Schlüssel ist, sich selbst zu sagen: „Ich will eine Veränderung!“ Schon diese Worte haben Einfluss auf die neuronalen Verknüpfungen in unserem Gehirn.

Mit einfachen, praktischen Übungen kann man es in absehbarer Zeit schaffen, neue Kraft zu mobilisieren. Damit wird nicht nur vorhandener Stress reduziert, der ja dafür sorgt, dass die Kräfte erschöpft sind. Wir können auch lernen, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen.

Dafür müssen Mütter mit sich selbst in Kontakt kommen, ihre Hauptstressoren identifizieren. Wie bei einem Navigationssystem müssen sie die wichtigsten Ziele für sich selbst und ihre Familie definieren. Und sich erlauben, ihr Glücksempfinden im Alltag zu stärken.

Wenn sie sich widerstandsfähiger fühlen und wissen, was sie wollen, können sie sich besser dafür einsetzen – z. B. für eine faire Lastenaufteilung mit dem Partner oder Kollegen – oder andere Lösungen zur Entlastung finden.

Was würden Sie als den wichtigsten Schritt raus aus der Stressfalle beschreiben?

Wenn man verstanden hat, wie Stress entsteht und entschlossen ist, etwas zu verändern, geht es darum, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Der erste Schritt aus der Stressfalle lautet: den Moment erkennen, bevor der Körper automatisch in die übliche Stressreaktion verfällt. Es gibt einige Techniken, mit denen man trainieren kann, den Schalter bewusst umzulegen sobald im Alltag Unvorhergesehenes passiert. Das kann sogar Spaß machen!

Daraus ergeben sich wunderbare Veränderungen: Wir verlieren uns nicht mehr in Panik, sondern denken lösungsorientiert. Unsere Sicht auf die Dinge verändert sich. Die Kommunikation, die im Stress leicht falsch verstanden wird, verbessert sich. Auf diese Weise wird das Leben in vielen Bereichen leichter.

 

Dr. Karella Easwaran, geboren in Addis Abeba/Äthiopien, studierte Medizin in Ungarn und absolvierte eine Ausbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitätskinderklinik in Köln. Die Mutter zweier Söhne arbeitet als Kinderärztin in eigener Praxis. In den Medien war Karella Easwaran u. a. als Expertin in der ZDF-Sendung »Die Ärzte« zu sehen und ist immer wieder Interviewpartnerin rund um Kinder- und Jugendgesundheit, sowie Mütter-Wohl und den Umgang mit Stress. Ihre hilfreichen Tipps gibt sie viel und gern auch in Vorträgen weiter. Ihr erstes Buch »Das Geheimnis gesunder Kinder. Was Eltern tun und lassen können« ist ein Bestseller. In ihrem neuen Buch stellt die Expertin für Mind-Body-Medizin die von ihr entwickelte Beneficial Thinking-Methode vor ("Das Geheimnis ausgeglichener Mütter. Starke Mütter – Starke Familien – Starke Gesellschaft", Random House, 16 Euro).

Foto © Amanda Dahms